Sonntag, 3. Juli 2011

Hier stünde normalerweise eine aussagekräftige Überschrift

Ich bevorzuge die Nacht zum Arbeiten. Dies hat vielerlei praktische Gründe, denn wenn man einen gescheiten Gedanken zu einem ebenso geschei­ten Ende bringen möchte, so bietet die Nacht hierzu die nötige Ruhe. Nicht umsonst heißt es „stille Nacht, heilige Nacht“! Verkehrslärm ist so gut wie keiner mehr vorhanden, kein lästiges Kerbgetier schwirrt um einen her­um ... nun, das muß ich wohl zurücknehmen, Motten und Stechmücken bilden natürlich die Ausnahmen – ziemlich unangenehme Ausnahmen, ver­steht sich. Das Fernsehen, das von mir ohnehin zumeist gemieden wird, disqualifiziert sich mit seinem seichten Nacht-/Nacktprogramm als Unter­hal­tung selbst, und Bücher, zumal spannende, wollen von mir meist in ei­nem Durchgange zu Ende gelesen werden, was mit blutrot unterlaufenen Au­gen morgens um vier oder fünf Uhr seinen Ausklang findet.

Zudem unterbindet Nachtarbeit mittels Schlaf­­unterdrückung solch dämliche Träume, wie mir erst neulich wieder einer über die Hirn­rinde geisterte: Ich fuhr mit einer Bergaufbahn in Österreich aufwärts. Wobei Bergaufbahn ei­gent­­lich ein blödes Wort ist, das es wohl auch gar nicht gibt. Ich ziehe hiermit meinen Neologismus zurück und benutze das bereits vor­handene Wort Bergbahn, denn wenn eine Bahn bergauf fährt, muß sie ja irgendwann auch wieder bergab fahren. Genau das tat meine Traumbahn jedoch nicht; vielmehr fuh­ren wir immer höher, bis die Kirchturmspitzen der Bergdörfer schon im Wort­sinne umwölkt waren. Ich entsinne mich auch noch meines Ausbruches von Panik, denn ich habe fürchterliche Höhen­angst, und die Bahntrasse war ein­spurig und ähnelte in ihrem Aufbaue einer Sprung­schanze beim Ski­sprin­­gen. Zu allem Ungemache gesellte sich auch noch ein rauher Berg­wind hinzu, so daß ich es vorzog aufzuwachen. Somit werde ich wohl nie erfah­ren, wohin die Reise denn ging – vielleicht zur Himmelspforte? Es wäre mir aber ein sehr unangenehmer Gedanke zu wissen und am Ende gar verkün­den zu müssen, daß der Himmel ausgerechnet über Österreich läge. Nicht daß ich etwas gegen dieses Land oder seine Bewohner vorzubringen hätte, aber ein klein wenig lokalpatriotisch bin ich doch schon und zöge es vor, den Himmel über meiner Heimat zu wissen.

Für Österreich dagegen spre­chen die hübsch gestalteten Euro-Münzen, von deren Vielfalt an Motiven wir Deutschen uns ruhig eine Scheibe hätten abschneiden können, statt Blatt­werk mit einer sichtlich verschämt hervorlugenden Eichel auf Me­tall zu bannen. Unsäglich auch diese Mistforke mit der Quadriga obendrauf, die wohl für Deutsch­lands Einheit stehen soll, aber einfach nur ein furchtbares Bau­werk, lange Zeit schamhaft verhüllt, in Berlin ist. Hätten wir nicht Goethe, Bach oder meinetwegen auch Käte Strobel portraitieren können? Nein, dort prangt unsere fürchterliche fette Henne, deren Zuschnitt unverkennbar in der Kohl-Ära liegt.

„Das eingesetzte Geliermittel Agar-Agar ist rein pflanzlich.“ Dieser Satz auf mei­ner Lakritztüte, die ich gerade vor mir liegen habe und zu leeren gedenke, bringt mich auf vielerlei Gedanken meinen Chemieunterricht betref­fend. Meine Chemie­lehrerin war ein herrliches Eifelanergewächs, was sich vor allem in aufreibenden Situationen äußerte: „Wat macht ihr mir für­en Sauerei mitte methanolische KOH?! Wat steht ihr all hier vorn rum? Geht nach hinten, und zieht euch euer Schutzbrillen an! Un wenn die Weiber da hinten endlich mal aufhören würden zu gacksen, könnte ma heut och ma anfangen!“ Aus unerfindli­chen Gründen wählte ich später Chemie als Leistungskurs, was sich spätestens zu dem Zeit­punkte, als ich mich aufgrund fal­scher Riech­technik am Ether aus eigener Herstellung selbst berauschte und zu Boden schickte, als Fehlent­schei­dung entpuppte.

Eine Fehlentscheidung hinsicht­lich einer Telefonnummer ist auch recht un­an­genehm, zumal für den Angerufenen. Meist kommen solche Telefonate auch just in recht prekären Situationen, etwa beim Spülen, während des Milchüberkochen- bzw. Wasserlas­sens oder gar beim Duschen. Eiliges Herumrennen in der Woh­nung in Fensternähe ohne Bekleidung mag vielleicht spannende Nachbarn beglücken, eine infolge eines Fehlrufes zugezogene Lungenentzündung je­doch wollte ich nicht auf meinem Gewissen haben. Wenn Falschwähler wenig­stens den Schneid hätten, kurz zu sagen, daß sie sich verwählt hätte, doch nein, blitzschnell liegt der Hörer auf der Gabel und wird zwecks erneuten Terrors wieder emporgehoben. „Rrring! Rrring!“ ertönt es dann am anderen Ende der Leitung. Menschen mit einer Türklingel, die in ähnlicher Manier sich äußert, laufen hier gar Gefahr, nackend die Tür zu öffnen und für alle Zeit in der Nachbarschaft wie ein Aussätziger behandelt zu werden! Ich entsinne mich, daß ich einmal in einem solchen Zustande ganz in Gedanken einem Versicherungsmakler die Tür öffnete. Entsetzte Blicke trafen mich, und nach einem kurzen, aber doch zu langen Augen­blicke des Innehaltens schlug ich die Tür wieder zu, um mir etwas überzustreifen. Ich bekam übrigens kei­nerlei Angebote von der Versicherung.

Aber die meisten Tele­fone haben heute ohne­hin einstellbare, höchst unter­schied­liche Klin­geltöne, die ganz bestimmt nicht mit der Türklingel verwechselt wer­den können, und eine Türklingel, die durch ein einfaches „Dingdong!“ Eintritt be­gehrende Menschen ankündigt, leistet ebenso ihr Scherflein im Sinne der Ver­wechslungsgefahrsbannung. Dieses Wort hätte Mark Twain sicher gefal­len, um es als abschreckendes Beispiel der Komplexität deutscher Sprache anzuführen. Der braucht aber gar nicht zu mosern, denn so kompliziert unsere Sprache ist, so primitiv scheinen amerikanische Tele­fone zu sein: Selbst wenn sie neusten Bau­jahres sind, geben sie noch ihr altmodisches „Rrring! Rrring!“ von sich, was nicht auf hochgradige Diffizilität der Fern­sprecher schließen läßt. Das weiß ich von amerikani­schen Filmen und Serien. Viel­leicht ist das aber auch nur eine Festlegung der Synchronstudios, eine DIN zur Synchronisation ausländi­scher Telefone. Die Tür­klingeln der Filme und Serien hingegen ge­ben in der synchronisierten Fassung im­mer nur „Dingdong!“ von sich. Das ist vielleicht auch zur auch intellektuellen Ent­lastung des deutschen Publikums (bzw. deutschsprachigen, denn Schweizer, Öster­reicher, Luxemburger, Liechten­stei­ner, Belgier und Namibianer dürfen selbst­ver­ständlich auch zusehen), damit es nicht etwa durcheinanderkommt, wenn jemand nach einem „Rrring! Rrring!“ an die Tür geht; auch wenn es solche Klingeltöne, wie oben beschrieben, gibt. Doch im Fernsehen hat alles seine Ordnung. Daher sind Menschen auch weniger verwirrt, wenn sie ebenso wie die Leute auf dem Bild­schirme ein „Rrring! Rrring!“ Telefon und eine „Dingdong!“-Türglocke ha­ben. Be­sitzt jemand kein Telefon, besteht keinerlei Verwechslungsgefahr im praktischen Le­ben, nur etwas Unmut breitet sich aus, wenn jemand mit ei­ner „Rrring! Rrring!“-Türglocke jemanden im Fernsehen nach eben diesem Geräusche den Telefonhörer abheben sieht. Am wenigsten gefährdet in die­ser Hinsicht sind Leute, die nicht ein­mal im Besitze einer Tür sind, was einer­seits natürlich bedauerlich ist, da sie somit wohl auch nicht eine Woh­nung ihr Eigen nennen können, aber andererseits können sie durch die Flimmer­kiste auch nicht auch noch verwirrt werden.

So, jetzt habe ich ausführlich über Telefon- und Haustürklingeltöne referiert, Vorschläge zur Neugestaltung deutscher Euro-Münzen unterbreitet, ein wenig von meiner Jugend er­zählt – das ist doch nicht gerade wenig. Da möge man es mir ver­zeihen, wenn mein Kopf jetzt ebenso leer ist wie die vorhin erwähnte Tüte voller Lakritze und mir partout keine ver­nünftige Überschrift – die ich mir bisweilen zuletzt ausdenke – einfallen will.

2 Kommentare:

Sixtus hat gesagt…

Nackt mit himmlischer Lakritze vor der Haustüre sitzend und dem Ding-Dong des amerikanischen Telefones lauschend.

Stelle ich mir romantisch vor...

Anonym hat gesagt…

Welch praktische Tipps sich doch hier immer wieder verbergen ... ich hoffe, daß ich mir das mit dem Versicherungsmakler merken kann.... hmmm... vielleicht vergesse ich auch einfach immer, mich anzuziehen...

Ob man auch das Vergessen vergessen kann?