Donnerstag, 19. August 2010

Alleine schlafen fördert die Wohnungsnot!

Auch mißlungene Fotografien bedürfen des Beachtetwerdens und des liebevol­len Betätschelns, sonst werden sie depressiv und altern vorzeitig. Unverschämt fand ich zu Zeiten der Analogfotografie die Zensur durch die Entwickler; sie glaubten biswei­len, entscheiden zu können, welche Fotos gelungen sind und welche nicht und sortierten einfach aus. Entsetzt griff man nach den Negativen, und be­merkte zähneknirschend, daß man eigentlich noch vier oder fünf interessante Bil­der hätte bekommen müssen, aber nein, die Damen und Herren Entwicklungsfritzen mußten ja alles besser wissen. Konnten sie denn überhaupt sicher sein, daß „mißra­tene“ Aufnahmen nicht gewollt waren? Wenn es mir beliebte, ein schwarzes Quadrat auf schwarzem Hintergrunde bei ausge­schaltetem Lichte und ebensowenig betätigtem Blitze zu portraitieren, so war das mein Bier. Viele Augenblicke bitteren Grames verdanke ich solchen Ignoranten! Dazu fällt mir ein kleiner Reim ein, den ich auf ei­nem Flugblatte oder so et­was Ähnlichem aus dem neunzehnten Jahrhundert ent­deckte: „Süße heilige Zensur, / Laß uns gehen auf deiner Spur; / Leite uns an dei­ner Hand, / Kin­dern gleich, am Gängelband“.

Bereits in der Überschrift merkte ich an, daß das alleinige Bewohnen sei­ner Behau­sung zum Entstehen der Wohnungsnot beiträgt. Aber es muß nicht immer pure Un­geselligkeit sein, die Alleinstehende auch Allein­schla­fende sein läßt! Manch einer pflegt ein platzraubendes Hobby oder braucht aus beruflichen Grün­den für andere Dinge als eventuelle Lebens­abschnitts­partner (ein ekelhaftes Wort für eine gräßliche Lebenseinstel­lung) den Raum in der Wohnung. Legt man sich bei­spielsweise die komplette Enzyklopädie der Klassischen Alter­tums­wis­senschaft zu, das aus über achtzig Bänden besteht, so ist das Wohn­zimmer schon ge­füllt. Ich mußte mir die Anschaffung daher versa­gen und griff zur eingeschrumpf­ten, fünfbändigen Kurzversion. Etwas zy­nisch finde ich die Anmer­kung in dem Vorworte dieses Werkes, das sich als Ersatz anbietet für den vorgenannten Achtzigteiler bei solchen Leuten, denen sich dessen Anschaf­fung aus „räumlichen oder zeitlichen Grün­den“ verbietet. Aus zeitlichen?!? Gut, als die ersten Bände erschienen, schrieb man noch Alterthum und Litteratur, so daß Abonnenten der ersten Stunde wohl kaum das Erscheinen der letzten Supple­mentbände erlebt ha­ben dürften, aber jetzt ist das Werk ja komplett. Viel­leicht ist das auch nur eine seltsam chiffrierte Sprache, die andeuten soll, daß man gar nicht genug Zeit mit Arbeiten verbringen kann, um den gan­zen Kram zu fi­nanzieren, denn billig sind die Bände weißgott nicht – klassische Philologen sowie sonstige Altertumswissenschaftler gehören eher zu den Gering- und Wennü­ber­haupt­verdienern unter den Gelehrten. Wenn man die ganze Pracht dann doch finanzieren kann und endlich den letzten Band in Händen hält, muß man die ersten schon wieder zum Restaurator geben, da es sich um Kamikaze­pa­pier mit Selbstzer­störungs­funktion handelt. Ich will nicht wissen, wie viel so ein Schinken dann für die Restauration verschlingt, ich glaube jedoch, die Rechnungen lassen den Besitzer ebenso chlorfrei erbleichen wie der Papierhersteller zuvor den Zellstoff.

Der Kauf dieses alten Le­xikons lohnt sich ohnehin nicht mehr, denn es wird be­reits ein neues herausgegeben. Je­doch wäre von dem sogenannten „Neuen Pauly“ um ein Haar die erste Auflage des ersten Bandes komplett eingestampft werden, da sich ein Scherzbold einen Artikel über altgriechischen Fußball – Ἀποπουδοβαλία ge­nannt – erlaubte, der dann sogar das Lektorat unbesehen überstand. Gelehrte sind leider in dieser Hinsicht häufig nicht sehr humorvoll, und den ar­men Schelm wäre das beinahe teuer zu stehen gekommen. Dabei ist ein solcher Scherzartikel im Wort­sinne durchaus geeignet, even­tuelle Nachahmer auffliegen zu lassen. So druckt beispielsweise der „Pschy­rembel“, das klinische Wörterbuch, seit 1983 einen Artikel über die „Petro­phaga lorioti“, vulgo Steinlaus, die angeb­lich eine große Gefahr für Bauten aus Stein und Beton darstellte. Hat man aber je gehört, daß eine komplette Pschyrembel-Auflage dieses offensichtli­chen Unsin­nes wegen und auf An­raten irgendwelcher verbohrter Medizinzau­sel einge­stampft wurde? Was mich hingegen durchaus stört, sind die blöden „Er­rata“ Anmerkungen am Ende etlicher Lexika, die bis heute die kostbaren Werke verunstalten. Es dürfte doch itzund kein Problem mehr sein, aufge­tretene Fehler noch vor dem Drucke zu korrigieren, doch da bleibt man konservativ und setzt hinten noch einen ganzen Wust an „Addenda et Corrigenda“ dran. Nicht nur un­begleitetes Schlafen, auch unprakti­sche Bücher, die mit Druckmetho­den von vor über hundert Jah­ren in den Satz gingen und dadurch über Gebühr aufge­bläht wurden, fördern so den Notstand an Wohn­raum!

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