Dienstag, 11. Mai 2010

Pürierstäbe können Leben retten!

Kennt eigentlich außer mir noch jemand das Gefühl, daß es ungemein in den Fin­gern kribbelt, wenn man sich irgend etwas Neues kauft, ein Haushaltsge­rät etwa, und sich fieberhaft überlegt, zu welchem Zwecke man es augenblicklich gebrau­chen könnte? Ein Staubsauger ist – angesichts Staub anziehender und wahrschein­lich auch noch heimlich selbst produzierender Wohnungen und Zim­mer – noch recht unpro­blematisch, denn Schmutz gibt es immer. Und solange das Gerät noch neu ist, blitzt und blinkt auch die Wohnung in staubfreiem Glanze.

Bohrmaschinen, Heißkleber und Pürierstäbe sind allerdings schon ungünsti­gere Anschaffungen, da Bohrlöcher ebenso schwierig zum Verschwin­den gebracht wer­den können wie Heißverklebtes getrennt und Pürier­tes wieder zusammenge­fügt werden kann.

Doch Schelm, der ich bin: Für ganz desperate Fälle kommt mir gerade ein Gesell­schaftsspiel in den Sinn, worin ein Pürierstab eine zentrale Rolle spielt. In meiner Zivildienstzeit arbeitete ich nämlich in einem Altenheime. Und im Alter verliert man nicht nur die Haare und oft genug leider auch Würde und Verstand, sondern desgleichen die Zähne, so daß das Essen der betroffenen Per­son quasi vorgekaut werden muß. Einmal kam ich selbst in den Genuß einer pü­rierten Bratwurst, und ich stellte fest: Mit der Form verliert vieles Essen auch seinen typischen Geschmack.

Dies gilt es nun auszunutzen: Man lade sich eine Clique guter Freunde ein, be­reite ein festlich Nacht­mahl zu, zerkleinere das Ganze mit dem Pürierstabe und veranstalte sodann mit den Besuchern ein lustiges Spei­senraten. Man kann aber, wenn man entweder säumig, sparsam oder gar sadistisch veranlagt ist, überdies Reste und Abfälle mahlen. Man stelle sich jemandes dummes Gesicht vor, der gerade erfahren hat, daß das hochgelobte angebliche Trüffelparfait in Wahrheit eine An­samm­lung ge­schred­derter Kartoffelschalen war. Gänzlich garstige Personen kön­nen selbstverständlich auch Kerbtiere oder Ähnlicherlei untermischen. So schafft ein neuer Pürierstab aller­hand Kurzweil.

Möchte man jedoch seinen Mitmenschen mit Sicherheit auf die Nerven fal­len, so schaffe man sich eine Videokamera an: Jedes noch so unwichtige Ereig­nis aus naher oder ferner Verwandtschaft (Taufe, Kommunion, Firmung, Hochzeit, Priester­weihe, Beichte, letzte Ölung, Beerdigung) sowie diverse Ur­laube werden auf Zelluloid – oder wie das Zeugs auch immer heißen mag – gebannt. Zudem besteht heutzutage auch die Möglichkeit, den ganzen Kram digital zu speichern, was aber auch nicht viel besser ist, denn es ist schließ­lich nichts Schmeichelhaf­tes, was ich über Amateur­regisseure zu schreiben habe:

„Das ist doch eine schöne Erinnerung, wenn man sich das in ein paar Jah­ren wie­der ansieht!“ erschallt der Gesangverein der Hobbyfilmer in gräßli­cher Disso­nanz, eine ungezählte Schar falscher Töne und unwahrer Worte von sich gebend; denn was soll bitte „schön“ daran sein, wenn man nur scheußliche, verwackelte, unter­belichtete Bilder ohne saubere und logi­sche Schnitte oder seine Ungeschicklich­keit immer und immer wieder unter dem gehässigen Gelächter seiner Mitmenschen vorgeführt bekommt? Schließ­lich landet die Kamera in einer fin­steren Truhe, denn man stellt fest, daß ein Filmabend mit Selbstgedrehtem, und damit meine ich jetzt keine Rauchwaren, noch öder ist als ein Diaabend.

Reizvoller hingegen ist das Betrachten alter Fotografien. Zwar ist eigent­lich das Erste, was dabei auffällt, daß die fotografierte Person doch arg an Pfunden an ungünstigen Stellen zugelegt hat und, um mit Heinz Erhardt zu sprechen, im Laufe der Haare die Stirn mit dem Verstande wuchs. Aber es warten auch immer wie­der Überraschungen auf den aufmerksamen Be­trachter, so daß einem biswei­len nach Jahren Dinge auffallen, die vorher unbehelligt in den dunk­len Ta­schen des Mantels der Geschichte Unter­schlupf fanden. Auch ich darf mich brü­sten, mit einer solchen Pretiose aufwar­ten zu können: Auf einer Klassenfahrt in die Toskana foto­grafierte ich von demselben Standpunkte aus verschiedene Ec­ken eines Amphi­theaters. Als es mir einmal gefiel, meine Wohnung zu verzieren – dreieinhalb Meter hohe Wände ließen mir viel Gestaltungsfläche –‚ wühlte ich auch meine alten Bil­der durch und entdeckte, daß ich die oben erwähnten Aufnahmen zu einer Art Panorama zu­sam­mensetzen konnte. Eine feine Sache, denn jedes­mal wenn ich Besuch hatte und uns der Gesprächsstoff ausging, konnte ich auf die Bildergruppe verweisen. Damit waren wenigstens die näch­sten fünf Minuten gerettet. Hat man schon einmal gehört, daß man Video­filme auf diese Art zusammen­kleben und gelangweilten Gästen präsentie­ren könnte? Zudem ist das Fernsehen ein Mörder des Gespräches, und ewiges Hin- und Herspulen, wenn Schlüsselszenen verpaßt wurden oder gar Unmutsäußerungen des Vorführers bei un­bedarften Kommentaren der Zuschauer sind Gift für jede Geselligkeit. Nein, mit einer Kamera gewinnt man keine Freunde!

Wenn also schon angespartes Geld für ein überflüssiges Kleinod aus der Tech­nik­welt das Porte-Monnaie zum Platzen zu bringen droht, sollte man sich ein mp3-Abspielgerät zulegen, das man dann mit Hörbüchern füllt (für den Fall, daß man zu faul zum Lesen oder desselben unkundig ist) oder mit Hörspielen. Nostalgiker greifen hier zu den alten Folgen zum Beispiel der drei Laberleichen oder von Super-Tim und den nutzlosen Drei, als Tim noch Tarzan hieß und Tarzans Papa den Papa von Tarzans Freundin spielte. Natürlich muß vorher ein fähiger Kassettenrekorder an den heimischen PC angeschlossen werden und die alten Schätze aus der Rumpelkammer vom Eisenoxidband ins Binäre überführt werden. Das dauert zwar seine Zeit, aber vor jedem Vergnügen sollte erst einmal ein gerüttelt Maß an Arbeit stehen.

Als das mp3-Prinzip noch nicht so ausgereift und verbreitet war und die Firma Sony noch nicht verbockt und verbiestert die Welt mit ihrer Lizenz- und Kopierschutztechnik schurigelte, leistete ich mir einmal den Luxus, ein Mini-Disc-Aufnahmegerät zuzulegen, denn ich hielt dieses System für überzeugend und praktisch: Diese putzi­gen kleinen, gern in buntes Plastik gehüllten Scheiben konnten sehr viel Gedöns aufzeichnen, und die Ab­spielgeräte waren teilweise kleiner als Zigarettenschachteln. Nur die Ein­gabe der Musiktitel war eine furchtbar fummelige Ange­legenheit. Fortan hörte man mich nächtelang meine CD-Sammlung durchwühlen und -hö­ren, um mir genehme Titel von zwanzig ver­schiedenen Silberlingen (abschrecken­des Beispiel für ein doofes Synonym für CD) zusammenzustellen. Zumal wenn man im Besitze vieler Singles war, lohnte sich derlei rasch. Oder man nannte eine Unzahl Kompilationen sein Ei­gen, worauf sich jedoch allerlei Firlefanz befindet, so daß man hier eigen­mächtig die Spreu vom Weizen zu tren­nen befähigt war und belangloses Zeug auf nicht mehr gehörten Scheiben verrot­ten lassen konnte.

Nun, da ich meine CD-Sammlung und Fäulnis erwähnte, stelle ich fest, daß sich in meinen Regalen in der Tat allerlei gewesenes, nun verwesendes Leben verewigt hat. Tra­gisch, daß vielen talentierten Musikanten zu Lebzeiten der große Er­folg oder wenigstens eine künstlerisch wertvolle Karriere versagt blieb und sie erst post­um einer größeren Hörerschaft musikalisches Vergnügen berei­ten dürfen. Um so mehr freut eine solche Laufbahn natürlich die Hinterbliebe­nen und die Plattenfir­men.

Eva Cassidy ist so ein Beispiel; sie weilte schon fünf Jahre nicht mehr unter den Lebenden, als ihre erste Single auf den Markt kam, eine wun­derschöne Ver­sion von „Fields of Gold“, im Originale von Sting. Mela­nie Thornton, zuvor von Frank Fa­rian bei „La Bouche“ eingesetzt, wurde ein abstürzendes Flugzeug bei ihrer Promotion für ihr erstes Soloalbum „Ready to Fly“ (sic!) zum Verhängnis. (Hier möchte ich anmer­ken, daß ich es für eine Ge­schmacklosigkeit halte, daß die Plat­tenfirma unter die Fotografie der Sängerin auf einer Single ein „koffeinhal­tig“ setzte. So genau will der Zuhörer auch nicht über die Zersetzungspro­zesse seiner toten Idole informiert werden!) Desgleichen stürzte Sängerin Aali­yah, die allzu vertrauensselig ein über­ladenes Luftfahrzeug mit bekifftem Flugzeugführer erklommen hatte, mit eben diesem ab. Mehr als ein halbes Jahr spä­ter erstand die Entschlafene auf der Kinoleinwand wieder auf und spielte selbstredend eine Untote. „Im nin‘alu“, tönt mir Ofra Haza aus ihrem küh­len, feuchten Grabe entgegen. Doch halt! Das ist einmal wieder zu eurozen­trisch gedacht, denn besagte Dame war Israelin und wird vielmehr in einem hei­ßen, trockenen Grabe liegen. Schon vor längerer Zeit ist Mama Cass von den Ma­mas & Papas verstorben, wahrscheinlich der einzige Popstar, dem man nachsagt, sich zu Tode gefuttert zu haben.

Hoppla! Ich nehme das zuvor Ge­schriebene zurück, denn mir fällt gerade noch ein, daß der Schlagzeuger (glaube ich zu­min­dest) der Rocktruppe „To­to“ sich vermittels selbstange­bauten Salates, den er allzu reichlich mit Schnecken­giften bedacht hatte, ins Jenseits beförderte. Ich ver­mute, das todbringende Zeugs war neu ge­kauft, und auch die­ser Mensch verspürte dieses Kribbeln in den Fingern, das ihn dazu anhielt, das Gift auf der Stelle und etwas großzügi­ger als nötig anzuwen­den. Hätte er dagegen einen Pürierstab erwor­ben, wäre dieses Trauerspiel unterblieben, und es wären zweierlei Lecke­reien auf dem Ti­sche gelandet.

Anmerkung für fromme Katholiken: In diesem Texte sind fünf Sakramente ver­steckt!

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