Kennt eigentlich außer mir noch jemand das Gefühl, daß es ungemein in den Fingern kribbelt, wenn man sich irgend etwas Neues kauft, ein Haushaltsgerät etwa, und sich fieberhaft überlegt, zu welchem Zwecke man es augenblicklich gebrauchen könnte? Ein Staubsauger ist – angesichts Staub anziehender und wahrscheinlich auch noch heimlich selbst produzierender Wohnungen und Zimmer – noch recht unproblematisch, denn Schmutz gibt es immer. Und solange das Gerät noch neu ist, blitzt und blinkt auch die Wohnung in staubfreiem Glanze.
Bohrmaschinen, Heißkleber und Pürierstäbe sind allerdings schon ungünstigere Anschaffungen, da Bohrlöcher ebenso schwierig zum Verschwinden gebracht werden können wie Heißverklebtes getrennt und Püriertes wieder zusammengefügt werden kann.
Doch Schelm, der ich bin: Für ganz desperate Fälle kommt mir gerade ein Gesellschaftsspiel in den Sinn, worin ein Pürierstab eine zentrale Rolle spielt. In meiner Zivildienstzeit arbeitete ich nämlich in einem Altenheime. Und im Alter verliert man nicht nur die Haare und oft genug leider auch Würde und Verstand, sondern desgleichen die Zähne, so daß das Essen der betroffenen Person quasi vorgekaut werden muß. Einmal kam ich selbst in den Genuß einer pürierten Bratwurst, und ich stellte fest: Mit der Form verliert vieles Essen auch seinen typischen Geschmack.
Dies gilt es nun auszunutzen: Man lade sich eine Clique guter Freunde ein, bereite ein festlich Nachtmahl zu, zerkleinere das Ganze mit dem Pürierstabe und veranstalte sodann mit den Besuchern ein lustiges Speisenraten. Man kann aber, wenn man entweder säumig, sparsam oder gar sadistisch veranlagt ist, überdies Reste und Abfälle mahlen. Man stelle sich jemandes dummes Gesicht vor, der gerade erfahren hat, daß das hochgelobte angebliche Trüffelparfait in Wahrheit eine Ansammlung geschredderter Kartoffelschalen war. Gänzlich garstige Personen können selbstverständlich auch Kerbtiere oder Ähnlicherlei untermischen. So schafft ein neuer Pürierstab allerhand Kurzweil.
Möchte man jedoch seinen Mitmenschen mit Sicherheit auf die Nerven fallen, so schaffe man sich eine Videokamera an: Jedes noch so unwichtige Ereignis aus naher oder ferner Verwandtschaft (Taufe, Kommunion, Firmung, Hochzeit, Priesterweihe, Beichte, letzte Ölung, Beerdigung) sowie diverse Urlaube werden auf Zelluloid – oder wie das Zeugs auch immer heißen mag – gebannt. Zudem besteht heutzutage auch die Möglichkeit, den ganzen Kram digital zu speichern, was aber auch nicht viel besser ist, denn es ist schließlich nichts Schmeichelhaftes, was ich über Amateurregisseure zu schreiben habe:
„Das ist doch eine schöne Erinnerung, wenn man sich das in ein paar Jahren wieder ansieht!“ erschallt der Gesangverein der Hobbyfilmer in gräßlicher Dissonanz, eine ungezählte Schar falscher Töne und unwahrer Worte von sich gebend; denn was soll bitte „schön“ daran sein, wenn man nur scheußliche, verwackelte, unterbelichtete Bilder ohne saubere und logische Schnitte oder seine Ungeschicklichkeit immer und immer wieder unter dem gehässigen Gelächter seiner Mitmenschen vorgeführt bekommt? Schließlich landet die Kamera in einer finsteren Truhe, denn man stellt fest, daß ein Filmabend mit Selbstgedrehtem, und damit meine ich jetzt keine Rauchwaren, noch öder ist als ein Diaabend.
Reizvoller hingegen ist das Betrachten alter Fotografien. Zwar ist eigentlich das Erste, was dabei auffällt, daß die fotografierte Person doch arg an Pfunden an ungünstigen Stellen zugelegt hat und, um mit Heinz Erhardt zu sprechen, im Laufe der Haare die Stirn mit dem Verstande wuchs. Aber es warten auch immer wieder Überraschungen auf den aufmerksamen Betrachter, so daß einem bisweilen nach Jahren Dinge auffallen, die vorher unbehelligt in den dunklen Taschen des Mantels der Geschichte Unterschlupf fanden. Auch ich darf mich brüsten, mit einer solchen Pretiose aufwarten zu können: Auf einer Klassenfahrt in die Toskana fotografierte ich von demselben Standpunkte aus verschiedene Ecken eines Amphitheaters. Als es mir einmal gefiel, meine Wohnung zu verzieren – dreieinhalb Meter hohe Wände ließen mir viel Gestaltungsfläche –‚ wühlte ich auch meine alten Bilder durch und entdeckte, daß ich die oben erwähnten Aufnahmen zu einer Art Panorama zusammensetzen konnte. Eine feine Sache, denn jedesmal wenn ich Besuch hatte und uns der Gesprächsstoff ausging, konnte ich auf die Bildergruppe verweisen. Damit waren wenigstens die nächsten fünf Minuten gerettet. Hat man schon einmal gehört, daß man Videofilme auf diese Art zusammenkleben und gelangweilten Gästen präsentieren könnte? Zudem ist das Fernsehen ein Mörder des Gespräches, und ewiges Hin- und Herspulen, wenn Schlüsselszenen verpaßt wurden oder gar Unmutsäußerungen des Vorführers bei unbedarften Kommentaren der Zuschauer sind Gift für jede Geselligkeit. Nein, mit einer Kamera gewinnt man keine Freunde!
Wenn also schon angespartes Geld für ein überflüssiges Kleinod aus der Technikwelt das Porte-Monnaie zum Platzen zu bringen droht, sollte man sich ein mp3-Abspielgerät zulegen, das man dann mit Hörbüchern füllt (für den Fall, daß man zu faul zum Lesen oder desselben unkundig ist) oder mit Hörspielen. Nostalgiker greifen hier zu den alten Folgen zum Beispiel der drei Laberleichen oder von Super-Tim und den nutzlosen Drei, als Tim noch Tarzan hieß und Tarzans Papa den Papa von Tarzans Freundin spielte. Natürlich muß vorher ein fähiger Kassettenrekorder an den heimischen PC angeschlossen werden und die alten Schätze aus der Rumpelkammer vom Eisenoxidband ins Binäre überführt werden. Das dauert zwar seine Zeit, aber vor jedem Vergnügen sollte erst einmal ein gerüttelt Maß an Arbeit stehen.
Als das mp3-Prinzip noch nicht so ausgereift und verbreitet war und die Firma Sony noch nicht verbockt und verbiestert die Welt mit ihrer Lizenz- und Kopierschutztechnik schurigelte, leistete ich mir einmal den Luxus, ein Mini-Disc-Aufnahmegerät zuzulegen, denn ich hielt dieses System für überzeugend und praktisch: Diese putzigen kleinen, gern in buntes Plastik gehüllten Scheiben konnten sehr viel Gedöns aufzeichnen, und die Abspielgeräte waren teilweise kleiner als Zigarettenschachteln. Nur die Eingabe der Musiktitel war eine furchtbar fummelige Angelegenheit. Fortan hörte man mich nächtelang meine CD-Sammlung durchwühlen und -hören, um mir genehme Titel von zwanzig verschiedenen Silberlingen (abschreckendes Beispiel für ein doofes Synonym für CD) zusammenzustellen. Zumal wenn man im Besitze vieler Singles war, lohnte sich derlei rasch. Oder man nannte eine Unzahl Kompilationen sein Eigen, worauf sich jedoch allerlei Firlefanz befindet, so daß man hier eigenmächtig die Spreu vom Weizen zu trennen befähigt war und belangloses Zeug auf nicht mehr gehörten Scheiben verrotten lassen konnte.
Nun, da ich meine CD-Sammlung und Fäulnis erwähnte, stelle ich fest, daß sich in meinen Regalen in der Tat allerlei gewesenes, nun verwesendes Leben verewigt hat. Tragisch, daß vielen talentierten Musikanten zu Lebzeiten der große Erfolg oder wenigstens eine künstlerisch wertvolle Karriere versagt blieb und sie erst postum einer größeren Hörerschaft musikalisches Vergnügen bereiten dürfen. Um so mehr freut eine solche Laufbahn natürlich die Hinterbliebenen und die Plattenfirmen.
Eva Cassidy ist so ein Beispiel; sie weilte schon fünf Jahre nicht mehr unter den Lebenden, als ihre erste Single auf den Markt kam, eine wunderschöne Version von „Fields of Gold“, im Originale von Sting. Melanie Thornton, zuvor von Frank Farian bei „La Bouche“ eingesetzt, wurde ein abstürzendes Flugzeug bei ihrer Promotion für ihr erstes Soloalbum „Ready to Fly“ (sic!) zum Verhängnis. (Hier möchte ich anmerken, daß ich es für eine Geschmacklosigkeit halte, daß die Plattenfirma unter die Fotografie der Sängerin auf einer Single ein „koffeinhaltig“ setzte. So genau will der Zuhörer auch nicht über die Zersetzungsprozesse seiner toten Idole informiert werden!) Desgleichen stürzte Sängerin Aaliyah, die allzu vertrauensselig ein überladenes Luftfahrzeug mit bekifftem Flugzeugführer erklommen hatte, mit eben diesem ab. Mehr als ein halbes Jahr später erstand die Entschlafene auf der Kinoleinwand wieder auf und spielte selbstredend eine Untote. „Im nin‘alu“, tönt mir Ofra Haza aus ihrem kühlen, feuchten Grabe entgegen. Doch halt! Das ist einmal wieder zu eurozentrisch gedacht, denn besagte Dame war Israelin und wird vielmehr in einem heißen, trockenen Grabe liegen. Schon vor längerer Zeit ist Mama Cass von den Mamas & Papas verstorben, wahrscheinlich der einzige Popstar, dem man nachsagt, sich zu Tode gefuttert zu haben.
Hoppla! Ich nehme das zuvor Geschriebene zurück, denn mir fällt gerade noch ein, daß der Schlagzeuger (glaube ich zumindest) der Rocktruppe „Toto“ sich vermittels selbstangebauten Salates, den er allzu reichlich mit Schneckengiften bedacht hatte, ins Jenseits beförderte. Ich vermute, das todbringende Zeugs war neu gekauft, und auch dieser Mensch verspürte dieses Kribbeln in den Fingern, das ihn dazu anhielt, das Gift auf der Stelle und etwas großzügiger als nötig anzuwenden. Hätte er dagegen einen Pürierstab erworben, wäre dieses Trauerspiel unterblieben, und es wären zweierlei Leckereien auf dem Tische gelandet.
Anmerkung für fromme Katholiken: In diesem Texte sind fünf Sakramente versteckt!
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