Sonntag, 16. Mai 2010

Ovids Metamorphosen modernisiert. Teil 3:

NEMO PERFECTVS

Pygmalion im ganzen Land
ein jeder mit der Kunst verband:
Ob Marmorbilder, Zieramphoren –
an Schönheit war sein Herz verloren.

So wollte es auch keiner glücken,
seinen Liebreiz zu entzücken,
da er blickte höchst genau
auf jeden Makel einer Frau:
Adlernase, schief und lang,
Speckgesicht mit Aknedrang,
Beingestalt in Form des X,
trübes Aug geschielten Blicks,
schwarzer Zahn, geschupptes Haar –
keine ganz vollendet war.

„Gibts auf Erden hier nicht eine,
schaff ich mir sie ganz alleine!“
sprach er schließlich desperat,
drauf er gleich zum Marmor trat
und meißelte sich die Figur,
der Schönheit innewohnte nur.

Nach langen, harten Werkestagen
das Bild er konnt zur Venus tragen,
wo er sich zuerst verbücket,
dann um eine Wandlung bittet:
„Venus, schönste Göttin du,
nutze deine Kraft dazu
– ich bitte dich mit Ehrfurchtsschaudern –
von Marmor dies in Fleisch zu zaubern!“

Gütig durch solch Wort gestimmt,
von Venus ein Bejahen klingt.
So konnt des Schönheitssinns Mäzen
mit Gattin gleich ’gen Zypern gehn.
Doch hört man – ob Pygmalions Mängeln –
von der Dame stetes Quengeln:

„Deine Nas ist krumm und schief,
Falten hast du, viel und tief.
Ein gelber Schleier ziert die Zähne.
(Mir grausets, wenn ichs bloß erwähne!)
Sehnig ist dein Hals und lang,
zum Nägelkauen zeigst du Zwang.
Entschwunden ist im Lauf der Jahre
gänzlich deine Pracht der Haare.“

Erzürnt durch solch verruchtes Zetern
end’t der Weg nach wen’gen Metern.
Die beiden machten kehrt die Wende
und eiln zu Venus’ Schloß behende.

Beendet war der eitlen Sein,
indem sie wieder ward zu Stein.
„Und die Moral“, Pygmalion spricht:
„Die Schönheit einzig reichet nicht!“

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